back to homepage! back to homepage! back to homepage! Die Internet-Kolumne

von Hartmut Pospiech

Bossa Nova
oder Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will

(7. Folge: März '97)




Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß aus Berlin kommen.
Oder - noch besser -
aus New York,
und unverständliche Zitate aus der New York Times vortragen.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß seine dicke, unförmige Jacke auf der Bühne anbehalten,
auch wenn es dort 170 Grad heiß ist.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß einen Grungebart haben
oder eine ungewöhnliche Frisur,
wenn er ein Mann ist.
Oder er muß eine Frau sein,
blonde, zerraufte Haare haben,
eine verräucherte Stimme wie 16 Jahre alter Whiskey
und Tina heißen.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß Gedichte lesen,
die die Lage der Nation,
das neurotische Liebesleben des Autors
und die Fußballergebnisse vom letzten Wochenende
in drei Minuten auf den Punkt bringen.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß flüstern, weinen, kreischen, heulen, zetern,
anzüglich, vertraulich, jovial, pessimistisch, intolerant
und lasziv sein
und -
was nicht das Unwichtigste ist:
Er muß eine irre Ausstrahlung im Arsch haben,
damit er auch die Juroren hinter ihm auf der Bühne beeindruckt.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß ein begabterer Redner sein
als Adolf Hitler und Claudia Nolte zusammen.
Und - er muß die Worte mehr lieben
als Mutter Theresa die Slums von Kalkutta.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß Texte vortragen, in denen ständig
"ficken", "bumsen" und "blasen" vorkommt.
Er muß über Germanistikstudenten herziehen,
am besten aber selber einer sein,
damit er auch das richtige Feeling hat.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
aber keine Texte hat, in denen ständig
"ficken", "bumsen" und "blasen" vorkommt,
muß komische Texte vortragen,
aber nicht zu komische,
damit das Publikum nicht überfordert ist,
das immerhin Eintritt bezahlt hat
und was für sein Geld verlangen kann.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
muß seine Texte auswendig können.
Auf keinen Fall darf er sie aus einer grünlichen Kladde
mit chinesischen Schriftzeichen vorlesen
und sich ständig verheddern,
weil er sein eigenes Gekritzel nicht mehr entziffert.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
darf auf keinen Fall Texte über alte Männer vortragen,
die mit ihrer toten Frau auf dem Friedhof sprechen,
keine experimentelle Lyrik,
keine Gedichte, die sich reimen,
oder gar Märchen über Zwerge im Wald.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
darf ruhig sein Publikum
"alte Arschlöcher", "Pöbel" oder
"unreifes Akademikerpack" nennen,
solange er dabei unterhaltsam ist.

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,
und das alles nicht hinkriegt,
sollte wenigstens eine Casio-Orgel
für 35 Mark dabei haben,
die Bossa Nova spielen kann
und bei der die Tasten leuchten,
wenn man draufdrückt.

Mit einem Wort:

Wer bei einem Poetry Slam gewinnen will,

muß Gott sein.


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Dieser Text errang am Abend seines Entstehens den dritten Preis beim Poetry Slam "Hamburg ist Slamburg"/ Februar 97. Am selben Abend wurde der Autor:

  • Um Abdruck in einer Literaturzeitschrift gebeten.
  • Zu einer Lesung eingeladen.
  • Von einer Spiegel-Reporterin interviewt.
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    © Hartmut Pospiech, 1997.